Während den bisherigen Lebensphasen gab es ja auch immer mal wieder Aktionen, die man in die Kategorie „Schickane/Zeitverschwendung“ geschoben hat. In der Hochschule hat vieles davon irgendwann dann doch mal Früchte getragen, aber einige Dinge waren einfach nur lästig.
In der Arbeitswelt habe ich heute erleben dürfen, dass es da noch eine Stufe schlimmer geht. Da wird nicht nur Zeit mit Meetings verbraten ohne dass Ergebnisse oder Fortschritte erkennbar sind. Nein noch viel schlimmer: Benchmarking wo es nur geht, oder auch KPI (Key Performance Indicators) genannt. Das wird wohl von den Führungsebenen als ultimatives Allheilmittel betrachtet – egal für was – Hauptsache Benchmarking und ISO-Konformität. Die eigentliche Arbeit kann da gelegentlich in den Hintergrund geraten.
Es ist ja nicht so, dass ich mich gegen Leistungsvergleiche im Allgemeinen verwehre – nur wer vergleicht kann eine Entscheidung treffen heißt es so schön. Außerdem wäre ich sonst wohl mit den Marathonläufen völlig falsch gewickelt. Auslöser heute war eine eigentlich simple Sache: Zum ordentlichen Arbeitsbeginn gehört eine Unterweisung in die Gefahren des Betriebes und die Sicherheitsbestimmungen. Soweit ja nichts ungewöhnliches und aktuelle Infos und Ergebnisse der Präventionsarbeit sind ja auch ok.
Wo ich aber dann dachte „jetzt wird’s abstrus!“ war als dann darauf hingewiesen wurde, dass jeder Mitarbeiter nach Möglichkeit Risikofaktoren und Beinahe-Unfälle melden soll. Da wäre eine Diskrepanz im Vergleich zu anderen Vergleichsgruppen, und es würde im Benchmark schlecht aussehen.
Klar: Gefahrenquellen abstellen schön und gut. Aber warum diese verkrampfte Art? Das muss doch nicht sein und steigert den Erfolg des Unternehmens nicht direkt, denn jeder Mitarbeiter sucht jetzt verzweifelt nach entsprechenden Dingen – Zeit die er wohl sinnvoller in seine eigentliche Aufgabe stecken könnte.
Es tritt gerade mal wieder das zu Tage, was ich schon bei meiner Diplomarbeit festgestellt habe: Messen ja, aber bitte mit Sinn und Verstand und in ausgewogenem Verhältnis zum Nutzen. Man kann sich auch zu Tode messen und gar nichts mehr geschafft bekommen. Eine geringe Zahl Beinahe-Unfälle muss ja nichts schlechtes an sich sein – man muss aber dann halt auch über den berühmten Tellerrand hinaus schauen und nicht einfach nur die Zahlen anschauen. Interessant sind ja gerade gerade die Ausreißer und deren Ursachen. Wenn in einer Vergleichsgruppe dann eben wenige Beinahe-Unfälle gemeldet sind, und auch keine Betriebsunfälle dann muss man sich überlegen was los ist. Es gibt zwar einige Möglichkeiten, aber die kann man leicht gegen prüfen:
a) es wird alles verschleiert und vertuscht – da hilft ein kurzer Abgleich und eine unverbindliche Nachfrage bei den Mitarbeitern direkt – wenn da Ungereimtheiten auftauchen, dann muss man reagieren
b) vielleicht ist die Abteilung schon sehr sicher gestaltet und hat ggf. gar nicht mehr die Möglichkeit Risiken noch weiter zu senken – gerade im Büro hat man eben keine so hohe Gefährdung wie in der Produktion. Hier einfach nur Zahlen zu vergleichen ist sinnfrei. Es gibt in der realen Welt kein unbeschränktes Wachstum – das wissen wir doch seit vielen Jahren. Irgendwann hat man einen Stand erreicht wo es nur noch sehr langsam weiter geht.
Vielleicht sind ja gerade die Abteilungen mit niedrigen Zahlen die besseren – sie haben schon alles im Griff und arbeiten routiniert und sicher. Haben die Damen und Herren aus der Führungsschicht das vielleicht mal bedacht oder ist dieser Gedankengang nicht „linear“ genug?
Natürlich ist es aufwändiger sich über abweichende Daten Gedanken zu machen und sich ggf. auch mal genauer zu informieren – aber dafür werden die Leute doch eigentlich bezahlt. Oder hat man an verschiedenen Stellen Angst, dass man sich selbst irgendwann womöglich als überflüssig benchmarked?
Wie bereits gesagt: Messungen sind zum objektiven Vergleich unerlässlich und geben Hinweise, ggf. auch Nachweise / Beweise für eine These. Aber man muss den Hinweisen auch nachgehen und sich überlegen woher bestimmte Effekte kommen. Sicherheit am Arbeitsplatz ist eine sehr ernst zu nehmende Sache, keine Frage – aber es ist evtl. ja so wie bei einer Schraube: Nach ganz fest kommt irgendwann ganz lose.
Jedes Werkzeug, egal ob mechanisch, elektrisch oder auch ein Benchmark muss richtig gebraucht werden – gebrauchen, nicht missbrauchen!
In diesem Sinne weiterhin ein unfallfreies Arbeiten und erfolgreiches Beseitigen von Stolperfallen.