Filmkritik – Sein letztes Rennen

Bereits beim Stadtlauf in Nürnberg bin ich auf den neuen Film mit Dieter Hallervorden aufmerksam geworden – Erwin (Lionheart) Bittel hatte lustige Bilder davon gemacht, als er vor dem Plakat posierte – ich hoffe mal nicht, dass Lionheart so bald sein letztes Rennen bestreitet.

Nun lief der Film bereits einige Zeit in den Kinos und ich habe mal wieder just-in-time die Kurve bekommen ihn mir noch anzuschauen. Erwartungen hatte ich direkt keine, ich habe mich einfach auf einen unterhaltsamen Abend gefreut – und als Ultra-Marathoni sind die Trainingspausen mit Lauf-Filmen doch gut erträglich. Zwar weiß ich aus der Vergangenheit, dass Dieter eher für Satire bekannt ist, und um einiges kommt man ja einfach nicht herum. Aber ich habe nur bedingt erwartet, dass es in Bully-Herbig-Manier vom Schuh des Manitus genauso in dem Film mit der Komik und Satire einfach hintereinander weggeht.

Jeder Läufer kennt ja das Problem, dass man in jedem Lauf auch mal Phasen hat bei denen es anstrengend wird, sei es wegen des Streckenprofils oder vom Kopf her, somit wäre ein Lauffilm der nur die positiven Seiten zeigt ja auch furchtbar langweilig.

Auch wenn der Filmtitel eine Lauffilm impliziert, so ist die Thematik im Ganzen doch eine andere. Es geht um die alternde Gesellschaft in Deutschland und den Umgang mit alten Menschen. Der ehemalige Marathon-Superstar Paul Averhoff ist alt geworden und hat seit Jahren keinen Wettkampf mehr bestritten. Etwas was ich mir bei Läufern eigentlich nur vorstellen kann, wenn es gesundheitlich nicht mehr geht, aber die Vielzahl älterer Teilnehmer bei fast jeder größeren Veranstaltung zeigt mir eigentlich: Wer regelmäßig weiter trainiert ist auch im hohen Alter noch fit, wenn es auch nicht mehr reichen mag ganz vorne in den Spitzengruppen mitzumischen. Ich habe Respekt vor jedem der sich der Herausforderung eines Laufes stellt (egal ob Volkslauf, Halbmarathon, Marathon oder Ultra-Marathon), und um so mehr Respekt vor denjenigen die sie bezwingen (egal in welcher Zeit, wichtig ist das Durchhalten und ankommen). Aber nun gut, es gibt sicherlich für alles Gründe, auch dafür nicht mehr regelmäßig zu trainieren.

Zu Beginn des Filmes erfahren wir, dass die Lebensgefährtin Margot Averhoff –  welche Paul Averhoff früher als Trainerin zur Seite stand – gesundheitlich angeschlagen ist, sie bricht in der Küche zusammen. Nachdem dies nicht zum ersten Mal geschehen ist, drängt die Tochter darauf, dass ihre Eltern ins Altenheim gehen, da sie keine Zeit hat sich um die Pflege der Eltern zu kümmern. Leider ein sehr häufiges Szenario in der heutigen Arbeitswelt – eine Doppelbelastung mit Pflege der Eltern und Job steht kaum jemand heute auf lange Sicht durch. Auch muss man natürlich sehen, dass die junge Generation auch eigene Bedürfnisse und Wünsche hat.

So endet das Ehepaar im Altenheim, aber schnell wird klar: Das ist nicht wirklich zielführend, vielmehr ist das Heim die letzte Station auf dem Weg aus dem Leben zu scheiden. Genauso wird sie auch betrieben, möglichst effizient und mit allen Notständen die man aus der Pflege so kennt: ungelerntes Personal, zu wenig Zeit etc. Das ist natürlich nix für jemanden der weiß was es heißt draußen unterwegs zu sein und aktiv zu sein.

So beginnt Paul sich wieder zu berappeln und vor lauter Frust gibt er beim Essen bekannt, dass er beim Berlin-Marathon starten will. Es folgt was folgen muss: Training und die Rebellion im Altenheim – wenn sie auch leider nicht so ausgeht wie man es sich im ersten Moment denkt. Margot verstirbt überraschend einige Tage vor dem Rennen. Daraufhin fällt Paul ersteinmal in eine tiefe Krise, leider verwehrt ihm das Altenheim jegliche sinnvolle Betreuung – stattdessen wird er ruhig gestellt und im Bett fixiert. So einfach kann man sich Hilfe machen und Arbeit sparen.

Zusammen mit einem Heimbewohner und einen engagierten Pfleger gelingt Paul gerade noch rechtzeitig die Anreise zum Start beim Marathon. Den Rest verrate ich jetzt hier mal besser nicht…

Insgesamt ein sehr rührender Film, das muss man lassen. Er macht vor allen Dingen nachdenklich wie wir mit der alternden Gesellschaft umgehen wollen und wie wir als Nachfolgegeneration mit unseren Eltern umgehen wollen. Ich bin kein Fan von irgendwelchen Alten-Sammelheimen, auch unseren Großeltern und allen Angehörigen blieb das zum Glück erspart. Aber ich bin auch realistisch: In der heutigen Arbeitswelt ist es beinahe unmöglich sich in Eigenregie um die Eltern kümmern zu können. In vielen Familien wird es dadurch erschwert, dass sich die Last auf zwei oder auch nur vier Schultern verteilt. Kommen dann noch längere Distanzen zwischen den Familienteilen hinzu wird es sehr schnell beinnahe unmöglich oder nur mit sehr hohem Aufwand.

Da das Altern ein schleichender Prozess ist, bin ich der Meinung man muss den älter werdenden Menschen Hilfe anbieten, aber Ihnen diese nicht aufzwingen – niemand wird gerne bevormundet. Viele Menschen haben einen gewissen Stolz den sie auch als Würde empfinden. Dieser verbietet es dem Individum erst einmal sich helfen zu lassen. Gerade wenn es um Dinge geht, die eigentlich trivial sind oder jahrelang einfach dazu gehörten. Das fängt mit dem Kochen und Wäschewaschen an und hört bei eigenständiger Mobiltät auf. Sich selbst eingestehen zu müssen das etwas nicht mehr so bleiben kann wie es ist, ist mit Sicherheit nicht einfach. Hier verhält es sich wie beim Laufen: Einfach von jetzt auf gleich aufhören, das kann nicht gelingen, genauso wenig wie von jetzt auf gleich eine Ultra zu laufen. Unterstützung da wo es gewünscht oder notwendig ist, ansonsten soviel Würde und Eigenständigkeit wie möglich. Die aktuellen Angebote wie betreutes Wohnen oder auch das Mehr-Generationen-Quatier sind hier denke ich erfolgversprechende Ansätze.

Abschließend noch ein paar Gedanken zum Film aus Sicht eines Läufers: 12 Wochen Vorbereitung sind der Standard für einen grundlegend trainierten Läufer. Das kann man mit etwas Willen und Abstrichen in der Zielzeit auch auf 8 Wochen verkürzen, aber das ist schon wirklich ambitioniert. Von daher ist das gewählte Szenario schon etwas grenzwertig und keinenfalls für den Laufanfänger zur Nachahmung empfohlen (dann schon eher etwas in der Art “von null auf 42” – innerhalb eines Jahres). Auch im fortgeschrittenen Alter sollte man sich ausreichend Zeit für die Vorbereitung nehmen, vor allem aber auch eine entsprechende Betreuung haben. Kontakte sollte man als ehemaliger Olympia-Teilnehmer dafür eigentlich noch irgendwo haben. Die Ausrüstung ist auch etwas kurios, aber es sollte machbar sein, mit einer derartigen Ausstattung einen Marathon zu bestehen – es gibt ja auch Leute die barfuß einen Marathon bestreiten, und früher ging es ja auch, mit weit weniger ausgfeiltem Schuhwerk als heute.

Die Bilder von der Laufstrecke sind beeindruckend und reißen einen als Läufer durchaus mit, wenn man weiß wie schwer es sich anfühlt, jenseits der 30km. Sehr schön dargestellt fand ich die Unterstützung an der Strecke: Aus Erfahrung weiß ich: Ohne die ist jeder Lauf um ein vielfaches anstrengender. Gegen Ende der Strecke hin, sind dem Regisseur dann aber doch die Pferde ein wenig durchgegangen – wie dargestellt ist Paul mit Sicherheit nicht der schnellste Läufer, schlägt sich aber wacker im hinteren Mittelfeld, so würde ich es zumindest einmal einschätzen. Selbst ganz hinten wäre man nicht so verlassen und allein wie im Film dargestellt, ferner würde doch auch mindestens ein Begleitradler als Besenfahrzeug irgendwo in der Nähe sein – wie gut es hinten laufen kann, darüber berichtet Erwin ja häufiger einmal (besonders am Stadtlauf in Nürnberg). Auch die zwischenzeitlich gezeigte Uhr zur Zeitnahme scheint mir etwas sehr optimistisch für einen einsamen Schlussläufer: bei 3:34h ist nach meiner Erfahrung das dicke Hauptfeld im Einlaufen, und auch bei um die 4h sind sicherlich noch mehr Läufer im Zielbereich unterwegs. Das will ebensowenig passen wie ein immer noch voll besetztes Olympia-Stadion zum Einlauf des Helden.

Insgesamt: Sehenswert und zum Nachdenken anregend, aber durchaus auch mit heiteren und sportlichen Momenten. So und jetzt mach ich Schluss – ich muss noch meine Laufschuhe schnüren, damit ich nicht einroste …