Es ist November, das Wetter ist absolut nicht lauftauglich – an Wettkämpfe ist eigentlich gar nicht mehr zu denken. Es sei denn, man läuft nicht im Freien. Auf die Spitze treibt das jedes Jahr der LGA-Indoor-Marathon in Nürnberg. Gelaufen wird in den Büro-Gebäuden bzw. Gängen des TÜV Rheinland. Um auf die volle Marathondistanz zu kommen sind 55 Runden zu bewältigen. Damit es nicht nur langweilige Flure gibt, ist jeder Runde auch noch ein Treppenhaus abwärts und natürlich auch eines wieder aufwärts zu bewältigen. Jeweile eine Etage, 22 Stufen runter und 22 auch wieder hoch.
Schon auf der Anfahrt am Vortag nach Nürnberg merke ich, dass meine Entscheidung für den Wettkampf genau die richtige war: Per e-mail und Messenger informieren mich die Kollegen von PULT, dass der Trainingslauf im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen ist. Die Ausgabe der Startunterlagen ist ein klein wenig gewandert, wer wie ich schon mehrfach teilgenommen hat läuft erst einmal in die falsche Richtung. Aber alles kein Problem, Petra Schuster als Verantwortliche überreicht mir den Sack mit der Startnummer und ein paar Bonbons der Sponsors. Ich nutze mit der Familie den verbleibenden Nachmittag und Abend um uns noch zusätzlich mit weihnachtlichen Kalorienbomben (Dominosteine, Lebkuchen und Co) aus dem Fabrikverkauf einzudecken.
Am Sonntag heißt es dann halbwegs früh aus den Federn kommen. Die Stimmung im Startbereich ist schon richtig gut, die Samba-Band „Ritmo Candela“ baut gerade ihre Instrument auf. Ebenso treffe ich einige alte Bekannt – Erwin Bittel als lokale Koryphäe (wie immer mit Hut) ist genauso dabei wie Dietmar Mücke als Pumuckl, wie es sich für Kobolde gehört natürlich barfuß. Nicht schlecht staune ich, als ich entdecke das sogar ein weiterer Mannheimer den Weg nach Nürnberg gefunden hat – noch dazu aus einem Verein der großen DJK-Familie. Rechtzeitig zum Start treffen auch Helga und Heinrich ein, Helga hat beim Indoor-Marathon auch schon mehrfach teilgenommen, dieses Jahr schaut sie nur zu und unterstützt mich.
Nach dem obligatorischen Briefing mit Markus Othmer geht es dann auch endlich los – die Halbmarathonis in den Keller, die Marathonis einige Meter den Gang runter, damit es auch wirklich 41,195 km werden. Ich unterhalte mich geraden noch ein wenig mit Erwin, als sich die Masse schon in Bewegung setzt. Zum Start gibt es gleich passende Musik – die Proclaimers mit I would (walk 500 miles … and I would walk 500 more …) während wir auf das erste Treppenhaus zulaufen versuche ich mir auszumalen, wie viele Runden und Treppenhäuser, ganz zu schweigen von den Höhenmetern wohl die 500 ( = 805km) oder 1000 Meilen (1610km) wären. Dabei wird mir eines klar – Ultra-Distanzen im Gebäude sind wohl keine so wirklich gute Idee. Schon der Marathon ist verrückt genug. Im Nachgang zum Lauf hole ich den Taschenrechner heraus und rechne es spaßeshalber einmal aus: Es wären für die 1000 Meilen knapp 2150 Runden in der LGA zu bewältigen.
Die ersten Runden fliegen wie üblich nur so an mir vorbei, auch wenn ich noch nicht ganz warm bin – es läuft recht gut und ich pendle mich bei etwas mehr als 4 min / Runde (entsprechend einem Schnitt von ca. 5:35 / km) ein. Bereits relativ früh habe ich diesmal Bedarf etwas zu trinken, aber das ist ja kein Problem, denn jede Runde besteht die Möglichkeit an der Versorgung zuzugreifen. Das Isogetränk ist für meinen Geschmack etwas zu süß, daher nehme ich eine Runde später noch einen Becher Wasser. Das Putzteam hat wieder allerhand zu tun, den Boden rund um die Versorgungstation halbwegs trocken und somit griffig zu halten. Zudem merke ich, dass meine Schuhe bei dem geringsten Ansatz von Feuchtigkeit auf dem PVC im Keller richtig kräftig quietschen. Mit der Zeit wird das etwas besser, wahrscheinlich ist der Boden dann halbwegs „eingelaufen“.
Wie üblich kann man sich neben der Uhr und der Rundezählung im Foyer auch ganz gut an den anderen Läufern orientieren – es gibt bestimmte Muster die sich wiederholen: Alle 4 Runden überhole ich die „gestiefelten Muskelkater“ (die bei näherem Hinsehen wohl doch nur die „beturnschuhten Muskelkatzen“ sind). Etwa alle 5 Runden überhole ich die Chef-Organisatorin Petra Schuster, wie ich erfahre läuft sie erst seit dem letzten Jahr selbst auf der Halbmarathon-Distanz mit, dafür zeigt sie eine respektable Leistung. Den Kollegen der DJK Waldhof-Käfertal überhole ich hingegen nur alle 6 Runden. Insgesamt merke ich, dass ich mal wieder schneller geworden bin, oder die anderen langsamer – Pumuckl flitzt nicht mehr ganz so häufig an mir vorbei wie ich es in Erinnerung habe. Von Erwin ist auch nach mehr als 10 Runden noch nichts zu sehen.
Im Kopf läuft derweil die Rechenmaschine an um mich zu motivieren – immer 11 Runden entsprechen 20% – das ist eine überschaubare Menge auf die man hinarbeiten kann. Trotzdem zieht es sich gefühlt ewig bis ich die ersten 40% erreicht habe. Die Uhr zeigt fast 1:30h an, also alles im Lot für mein intern gestecktes Ziel „irgendwas unter 4h“. Ich fiebere ein wenig der Halbmarathon-Marke und der 30 Runden-Marke entgegen – ab jetzt kann man abwärts zählen. Gut dass die Runden für einen gezählt werden, denn vor lauter Rechnen und Laufen habe ich mich doch glatt verzählt – der Rundezähler weißt zwei Runden mehr als als ich im Kopf habe – das motiviert natürlich. Ebenso wird es langsam etwas luftiger in den Gängen – nach und nach kommen die Halbmarathonis ins Ziel. Das ist wie üblich die Stunde der Down-Syndrom Staffel, die nun auf der Strecke mitläuft. Im Gegensatz zu meiner Erinnerung sind viele der Athleten mittlerweile richtige „Profis“ für den Lauf – war es beim letzten Mal noch fast unvorstellbar, dass einige von Ihnen die Runde ohne Begleitung laufen, so sind es diesmal gleich mehrere die es ganz ohne direkte Betreuung schaffen. Teilweise sind sie in Teams unterwegs und motivieren sich gegenseitig. Zusätzlich motivieren die anderen Teilnehmer immer wieder.
Runde 33 – 60% liegen nun hinter mir, noch drei Runden dann sind zwei Drittel der Distanz überwunden (28km) für mich ein wichtiger Punkt, denn wenn ich diesen erreicht habe ist es in aller Regel auch so, dass ich den Wettkampf erfolgreich beenden kann. Die Rundenzeiten sind ein klein wenig länger geworden, aber ich fühle mich noch immer recht fit. Erst rund 5 Runden später machen sich erste Beschwerden ob der vielen Treppen und dem Bewegungswechsel bemerkbar. Anstelle Banane greife ich diesmal bei den gesalzenen Keksen zu, leider muss ich feststellen, dass die einem fürchterlich im Mund kleben. Mehr als einen kann ich nicht essen – die zwei weiteren die ich im Vorbeigehen abgegriffen habe, spendiere ich Marion und Glen im Vorbeigehen. Immerhin ist es ja nicht übermäßig weit bis zum Becher mit Iso um die Krümmel endlich herunter spülen zu können.
Für die letzten 15 Runden greife ich dann als „Belohnung“ immer wieder bei der Cola zu, den Zuckerschub und das Koffein merke ich auch recht deutlich. Es hält nur leider nicht lange vor. Wie bei jedem Indoor-Marathon kommt auch dieses Jahr pünktlich zu den noch 12 verbliebenen Runden das Bild der Holzuhr aus Kinderzeiten vor das innere Auge. Mit jeder Runde schiebe ich den Zeiger ein Stück weiter zurück. 8 Runden vor Schluss kündigen sich erste Krämpfe an – jetzt heißt es aufpassen, ich nehme mehrere Runden je einen Becher ISO-Getränk mit. Das hilft ein klein wenig aber leider nicht vollständig. Ein Königreich für einen Salzstreuer (den könnte ich wohl gerade komplett einfach in mich reinschütten) oder noch besser Salztabletten. Ich mache mir einen Knoten in den Kopf endlich wieder welche zu bestellen für die kommende Saison. Noch fünf Runden – das Treppenhaus ist jetzt jedes Mal hoch eine echte Quälerei, zumal die Krämpfe in den Waden scheints nur auf den Lastwechsel warten. Aber ich habe ja Erfahrung und ziehe mich nun um so mehr am Geländer nach oben und versuche weiter möglichst „rund“ die Treppen zu laufen.
Abwärts ist jetzt auch leider nichts mehr mit „Treppenwatscheln“ – eine Technik die sich viele Läufer zu eigen gemacht haben – die Treppenstufen werden dabei möglichst nur mit dem Vorfuß an der Kante berührt, man „watschelt“ so recht elegant und energieeffizient die Treppen hinunter. Nun bin ich eher bei der Fraktion der „Vollauftreter“, auch wenn ich es vermeide plump aufzutreten, wie es einige andere Teilnehmer schon machen.
Noch drei Runden – die Krämpfe sind jetzt richtig heftig und gehen schon fast nicht mehr weg – aber aufgeben rund 2km vor dem Ziel, das kommt natürlich auch nicht in Frage. Also aufpassen und die Beine schön durch strecken damit die Muskelfasern entsprechend gedehnt werden. Ein letztes Mal das Treppenhaus hoch – ich versuche noch etwas zu sprinten aber es ist so knapp vor Krampf, dass ich nicht weiter beschleunigen kann. Damit ich nicht nach dem Ziel völlig verkrampfe laufe ich nach der Ziellinie noch eine Runde um den Aufzug im Foyer – Heinrich macht sich schon Sorgen, dass ich noch eine Bonus-Runde laufen will. Ich gehe noch ein wenig im Kreis bevor ich mich Richtung Umkleide aufmache. Dort gibt es dann auch Brühe – genau das Richtige mit viel Salz.
Das Treppenhaus nach unten ist dann die nächste Herausforderung. Leider sind die Möglichkeiten für die Massage bereits ausgebucht als ich aus der Umkleide wieder komme. Ich greife noch kurz am reichhaltigen Kuchenbuffet zu zusammen mit noch einer großen Runde Iso.
Zum Abschluss geht es noch mit Helga und Heinrich gemütlich essen. Das Wetter außerhalb ist immer noch absolut pro Indoor-Marathon.
Ob ich gleich im nächsten Jahr gleich wieder teilnehmen werde weiß ich noch nicht, aber als gelegentliche Abwechslung für den Saison-Abschluss kann man den Lauf echt empfehlen. In Gesamtfeld von knapp 60 Teilnehmern bin ich 20. geworden, nur wenige Minuten nach der ersten Frau. In der Altersklasse verfehle ich mit 3:52:37 den 2. Platz nur um eine knappe Minute – um so wichtiger, dass ich bei kommenden Teilnahmen daran denke Salz mit zu bringen. Vielleicht kann ich das ja aber auch als Verbesserungsvorschlag für die Veranstalter einreichen.
Toller Bericht! Wenn du nächstes Jahr wieder Salz brauchst, frag mich, ich hol dir dann den Salzstreuer aus dem Betriebsrestaurant ;-).