Ja so ganz allmählich beginnt hier der große Verabschiedungsreigen. Es ist irgendwie die Woche der letzten regelmäßigen Ereignisse, die uns / mich hier über ein halbes Jahr begleitet haben.
Gestern (Mittwoch) wurde denn auch recht kurzfristig das Farewell-Dinner angesetzt – gleich abends um sechs … was mir eigentlich gegen den Plan lief, denn ich wollte lange im Office bleiben um in Ruhe an der Diplomarbeit schreiben zu können. Aber bei so social-events sollte man in amerikanischen Firmen nur in wirklich gut begründeten Ausnahmen fehlen, also Plan verwerfen. Natürlich war ich im Office auch noch nicht wirklich passend für das Essen gekleidet, außerdem hatte ich morgens vergessen mich zu rasieren. Dumm gelaufen, dass ich dann bis kurz vor 5 auch noch am Rödeln war – es wurde etwas hektisch – was angesichts meines Fahrrads hier keine Freude ist – da rutscht die Kette mittlerweile auf verschiedenen Gängen einfach durch.
Ich hab es dann doch noch rechtzeitig gepackt in angemessener Kleidung fertig da zu stehen. Die Investition in die dünnen, eleganten Jeans hat sich echt gelohnt. Auch wenn ich ein wenig overdressed war – Hemd hätte es nicht unbedingt sein müssen, aber ich wollte ja nicht so wie andere in unserer Gruppe mit abgewetzten Shirts und Shorts auftauchen – sowas gehört sich in dem Zusammenhang einfach nicht.
Essen und Getränke waren echt lecker in dieser Micro-Brewery (lokale Kleinbrauerei) – an den Geschmack eines guten Biers aus Deutschland kommen die nicht ran, aber besser als die üblichen Dingen wie Budweiser und Co ist es auf alle Fälle mal. Das dunkle Weizen war richtig lecker – auch wenn die hier noch lernen sollten, aus was für Gläsern man das Zeug trinkt – aber Stil ist hier ja nicht Trumpf in den Staaten.
Aufgrund einer etwas komischen Regelung bezüglich der Abrechnung wurden nur die Vorspeisen übernommen, aber selbst das ist doch etwas wert.
Wir haben dann auch kräftig durchgetauscht, damit jeder mal von allem probiert hatte – es ist zwar reichlich fettig und sicherlich alles andere als ausgewogen, aber die frittierten Zwiebelringe hier sind einfach immer lecker. Außerdem habe ich endlich mal von den berühmten Bluecrabs hier aus der Chesepeak-Bay was probieren dürfen. Muscheln waren auch im Angebot – sehr lecker, ich mag das Zeug einfach, vor allem nach einem halben Jahr „Enthaltung“ schmeckt es um so besser.
Raimund hatte Philipp und mich noch gefragt, ob wir so freundlich wären ihm beim Aufstellen einer Waschmaschine zu helfen, die er geliefert bekommen hat – alleine ist das etwas umständlich … zumal wenn das Ding Rollen hat – ja das braucht man hier, denn zusätzliche Abwasser-Anschlüsse für solche Geräte sind eher die Ausnhame … nein der Schlauch wird einfach übers Waschbecken oder die Badewanne gehängt und los gehts … Wir haben uns dann noch „kurz“ unterhalten, zwei Bier dazu getrunken und als wir wieder auf die Uhr geschaut haben, sind uns fast die Augen aus dem Kopf gefallen – 1 Uhr in der Frühe … naja kann man nicht ändern. Mit noch daheim an der Arbeit schreiben war es denn natürlich auch nix mehr.
Allerdings habe ich nicht sonderlich dolle geschlafen – irgendwie hat sich meine Darmflora scheints über die große Menge Protein aus dem Meeresgetier gefreut, in Kombination mit einer ganzen Menge Zwiebelringe bin ich mir vorgekommen wie ein Heißluftballon … Irgendwann um kurz nach 5 hab ich es dann aufgegeben, mich von einer auf die andere Seite zu wälzen … stattdessen habe ich noch ein wenig an der Diplomarbeit gewerkelt, um dann um kurz nach sechs unter der Dusche zu verschwinden und nach dem Frühstück mich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Dort ging es dann weiter mit der Diplomarbeit … nochmal ne Runde Feedback am Nachmittag zum letzten Kapitel (erster Durchgang). Aber ich muss sagen, irgendwie hab ich die kurze Nacht tierisch gemerkt – so irgendwann ab halb drei rum, half nur noch Kaffee in großen Mengen und selbst dann war es eher ein Voranquälen, denn ein Arbeiten. Kurz nach dem Meeting habe ich dann auch den Heimweg angetreten. Ich war mir noch absolut nicht sicher ob ich die übliche Laufrunde machen sollte, ich war derart fertig – selbst auf dem Rad hab ich mich quälen müssen.
Aber wie es beim Sport als so schön heißt (vor allem auf den letzten Kilometern beim Marathon findet man die Schilder immer mal wieder): „Quäl dich du Sau!“. Also habe ich den inneren Schweinehund genommen und ihn in die Wüste geschickt. Schließlich war das ein weiterer Abschied, so wie es derzeit aussieht war heute zum letzten Mal hier die Halbmarathonstrecke am Northeast-Branch laufen, zumindest mal für eine unbestimmte Zeit. Ich habe daher auch die Kamera mitgenommen und nochmal Erinnerungsbilder gemacht. Beim Laufen musste ich eh langsam machen … irgendwie war die Nacht doch wirklich zu kurz. Ich habe vor allem was Neues erlebt: Bisher sind die Kreuzschmerzen beim Laufen immer besser geworden – diesmal nicht … eher das Gegenteil war der Fall. Es wird Zeit, dass ich wieder eine anständige Matratze als Unterlage habe. Aber für die restliche Zeit hier wird das jetzt auch noch gehen. Und was positives hatte es ja auch: Mit den Schmerzen im Rücken ist mein eingeklemmter Nerv im Kreuz wohl entlastet worden. Ist nur beides irgendwie nicht so das was ich mir unter „Lösung“ vorstelle …
Jetzt haue ich mich aufs Ohr, in der Hoffnung, dass der Halbmarathon jetzt die innere Uhr mal wieder richtig gestellt hat – morgen wird es wohl ein wirklich langer Tag im Office, denn auch die Abschlusspräsentation will ja noch gemacht sein. Da habe ich dank Nachbearbeitung der Diplomarbeit noch gar nicht mal mit angefangen – irgendwie hat das schon Züge von Martin: „Meine besten Präsentationen habe ich nachts um drei im Büro erstellt …“ Bei geplanten 20 Minuten wird es wohl aber auch nicht übermäßig viel werden.