Ein letztes Highlight unseres Pfingsturlaubs ist der Besuch der Burgenbaustelle von Guédelon. Der Bau der Burg wurde als ein Projekt der experimentellen Archäologie 1997 gestartet. Ein ähnlich experimentelles Projekt, allerdings in Mannheim und mit dem Ziel der Forschung zur Jungsteinzeit (Neolithikum) habe ich bereits während meiner Zeit als Jugendbetreuer begleitet und dabei auch kräftig mit angepackt. Diesmal ging es wesentlich mehr ums Zuschauen, auch wenn ich dank Ritter Sebastian als Arbeitskollegen mittlerweile auch immer mal wieder in Sachen Mittelaltermarkt und Lager aushelfe. Da wir den Besuch ursprünglich nicht auf der Liste hatten, habe ich natürlich meine passende Gewandung (insbesondere ein Kettenhemd) nicht mit eingepackt, ob die noch Platz im Auto gehabt hätte wäre ohnehin fraglich gewesen.
Wie ich vorab bereits recherchiert habe, gibt es den Familienpass zum Besuch nur online. Damit spart man einige Euros ein und ich war anfänglich auch angesichts der hohen Preise etwas verwundert, wie man im weiteren Bericht sehen wird, sind die Preise für die Möglichkeiten und als Unterstützung des Projekts aber durchaus realistisch. Immerhin kann man online und in Euro bezahlen und muss keinen Frondienst ableisten oder Naturalien mitbringen.
Bis wir vor Ort sind, ist es noch ein gutes Stück zu fahren. Praktisch dass wir diesmal nicht das gesamte Gewicht im Auto haben, das fährt sich spritsparender. Allerdings muss man auch sagen: Es zieht sich ganz ordentlich über diverse Landstraßen mitten durchs Nirgendwo in Frankreich. Wunderschön anzuschauen und auch leidlich zu fahren. Kurz vor dem Ziel kapituliert dann unser Onboard-Navi: es gibt eine Straßensperrung und jede Menge Umleitungen. Gut, dass Datenroaming kein Thema mehr ist und so hilft uns die Online-Navigation auf dem Handy aus der Patsche. Immerhin: Es gibt keinen Wegezoll auf der Strecke und wir müssen sie auch nicht einem Pferd oder Gespann zurück legen (Schusters Rappen wäre für mich ja noch machbar aber dann wäre bereits zu wenn ich ankomme, selbst wenn ich mich beeile).
Wir sind praktischerweise in den deutschen Pfingstferien zur Besichtigung, der Parkplatz und dessen Ausdehnung (oder sollte man besser von einem Touri-Heerlager sprechen?) geben einen Hinweis darauf, dass man tatsächlich eine der häufigst besuchten Stätten (und mit Sicherheit auch Baustelle) erreicht hat. Mit dem PKW haben wir Glück und finden einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs. Noch dazu kostenfrei, das hätte ich fast schon anders erwartet. Der Einlass ist mit der Online-Karte schnell erledigt und wir beginnen unsere Besichtigung auf dem weitläufigen Gelände. Wir sind erst gegen Mittag eingetroffen und es tummeln sich noch jede Menge Schulklassen auf der Baustelle, aber die Abreise dieser Gruppen hat schon eingesetzt.
Wir machen einen Abstecher ins geheime Gemach bzw. dem Donnerbalken (heute auch Toilette genannt). Ein Schild an den Pissoirs macht auf lustige Art darauf aufmerksam, bitte nicht daneben zu Pinkeln: „Hier beginnt die Ausbildung zum Bogenschützen …“. Danach gibt es einige Tafeln mit Informationen zum Projekt und dem Setting der Baustelle: Es ist eine kleine Burg eines niederen Adeligen, daher die kompakte und sparsame Bauform. Der Baubeginn wird ins Jahr 1228 datiert, da seit dem Beginn 27 Jahre vergangen sind (und somit mehr als die 25 geplanten Jahre, aber es gab ja auch Verzögerungen durch eine Pandemie, wenn auch nicht die Pest sondern die moderne Fassung in Form von COVID-19), schreiben wir das Jahr 1235, Ende des Wonnemond (abgeleitet von der Weidetätigkeit in der Landwirtschaft der damaligen Zeit).
Die Anlage setzt auf eine möglichst authentische Atmosphäre, daher tragen alle Mitarbeitenden eine entsprechende Gewandung, Ausnahmen werden nur zu Gunsten der Sicherheit gemacht: Wo immer notwendig, gehören Arbeitssicherheitsschuhe, Helme, Schutzbrillen zur persönlichen und notwendigen Schutzausstattung. Auch beim Gerüstbau und beim Betrieb der Kräne gibt es zusätzliche Sicherheiten die nicht immer dem historischen Vorbild entsprechen können. Wobei es insgesamt ein Ergebnis der Forschung ist, dass gerade die Steinmetze wohl bereits etwas nutzen mussten um die Augen vor umherfliegenden Steinsplittern zu schützen. Was ist historisch nicht überliefert, man vermutet aber etwas wie transparente Tücher, da sich nichts metallisches erhalten hat (rein theoretisch würde auch eine Art Visier wie an einem Ritterhelm schützen, die Sicht wäre aber wohl zu eingeschränkt).
Wir besichtigen nach und nach die unterschiedlichen Gewerke auf der Baustelle, in der Schmiede werden neben Beschlägen vor allem auch fast alle Werkzeuge hergestellt die benötigt werden: Man sollte es kaum glauben, aber eine Säge herzustellen oder auch nur in Stand zu halten ist ein sehr großer Aufwand. Bereits erwähnt hatte ich die Steinmetze, wobei hierbei zu unterscheiden ist zwischen der Beschaffung eines Steins aus dem Steinbruch und der Weiterverarbeitung / Gestaltung vor dem Verbau in der Burg. Das Gelände liegt praktischerweise in einem aufgelassenen Steinbruch und es ist noch genügend Restmaterial zum Burgenbau vorhanden. Der Mörtel aus Luftkalk (basierend auf gelöschtem Kalk) wird vor Ort und je nach Anwendungsbedarf hergestellt.
Etwas mehr im Hintergrund und nicht ganz so offensichtlich sind weitere Gewerke am Gelingen der Burg beteiligt: Ich hätte nicht gedacht, wie wichtig die Korbmacher und die Seilherstellung sind. Aber klar ohne Transportgefäße und Stricke kein Transport. Wie alle Gewerke werden diese mit Einblick fürs Publikum betrieben. Die Seilherstellung ist sogar zum Mitmachen gedacht, einige Schüler aus den Schulklassen müssen/dürfen mit anpacken um ein Seil von rund drei Metern Länge herzustellen. Ein ganz schöner Aufwand, und die Technik hat sich, bis auf das Material (heute meist Kunstfaser, zumindest für technische Anwendungen), nicht geändert.
Für mich auch spannend als Hobbybastler sind die diversen Holzberufe wie Schreiner, Zimmermann oder auch Wagner. Wir erfahren unter anderem, dass die Säge zwar bekannt ist, aber auch Nachteile hat. Durch das Durchtrennen der Fasern im Holz wird dieses weniger widerstandsfähig, gerade was Regen betrifft. Daher wird das Holz im Mittelalter vielfach noch eher gespalten denn gesägt. Mir wird dabei bewusst warum man heute auch vergleichsweise viel Aufwand in das Versiegeln (Lackieren) von Hölzern stecken muss. Auch ist die Säge vergleichsweise wartungsintensiv, diese zu schärfen ist sehr viel Aufwand. Daher wird sie eher dort eingesetzt wo es nicht anders geht. Der Job des Wagners mit den Wagenrädern ist sehr spannend, wir wohnen der Herstellung einer Radnabe bei.
Zum Abschluss besichtigen wir die Burg soweit sie schon fertig gestellt ist: Das sind vornehmlich das Hauptgebäude mit dem großen Saal, ein Teil des Wehrgangs und der Turm welcher auch die Kappelle beherbergt. Einige Abschnitte sind nur teilweise fertig, wir können den Maurern zuschauen wie die Burgmauer Stein für Stein in die Höhe wächst. Im Burghof selbst gibt es noch ein Highlight für Mathematik bzw. Geometrie-Freunde, ein Mitarbeiter erklärt wie auf dem Reißbrett (bzw. einer planierten Sandfläche) die damaligen Konstrukteure vorgingen: Ganz ohne Kenntnis von trigonometrischen Funktion und numerischen Näherungen wie Wurzelziehen. Schulunterricht in Geometrie, anschaulich und zum Nachvollziehen. Zwar kenne ich viele der Zusammenhänge aus Schule und Studium aber die geschickte Verwendung einfachster Hilfsmittel wie Zirkel, Knotenschnur und Messlatte (natürlich nicht metrisch, auch wenn wir in Frankreich dem Land des Urmeters sind) ist schon genial: Rechte Winkel, Teilungen entlang von Linien, genauso wie statische Abschätzungen: Anhand der Verhältnisse kann man ermitteln wie breit eine Mauer werden muss alle Kräfte aus einem Bogen in den Boden abzuleiten. Besonders aufwändig ist die geometrische Konstruktion von Zierelementen wie sie in den Bögen und Fenstern verwendet werden. Um diese reproduzierbar zur Hand zu haben werden diese auf Bretter übertragen, so hat man eine Schablone für die Steine (oder auch Holz) an der man sich orientieren kann. Nur dass man eben keine Oberfräse mit Anlaufring daran entlang führen kann um die Form zu übertragen (eine Technik die man heute gerade bei Holzformen gerne einsetzt).
Insgesamt der Besuch auf alle Fälle empfehlenswert. Man sollte auf alle Fälle genügend Zeit mitbringen, einfach mal schnell durchlaufen (z.B. im Rahmen eines Laufs) ist nicht zu empfehlen. Dafür gibt es zu viele Details zu bestaunen.
Für den Heimweg zum Zeltplatz halten wir uns gleich an eine online-Navigation. Das führt zwar stellenweise noch mehr durch abgelegene Dörfer und Landstriche als auf dem Hinweg, aber gefühlt sind wir schneller daheim als gedacht.