Lighthouse Challenge – 50 Meilen / 80,46 Kilometer auf Öland

Wie bei fast jeder Fernreise darf natürlich auch ein läuferisches Highlight nicht fehlen. Ich hatte vorab schon mit dem Marathon in Jönköping geliebäugelt, allerdings passte der nicht so ganz in unsere Reiseplanung. Beim Blick auf die Insel Öland und deren Abmessungen dachte ich mir, die bietet sich ja förmlich an für einen Lauf – z.B. einmal rund rum in Etappen. Ein wenig weiteres Suchen lieferte mir dann die ganzen Läufe auf Öland. Der Marathon dort lag leider außerhalb unserer Reisezeit. Aber wer braucht einen Marathon wenn es einen passenden Ultralauf gibt? Noch dazu eine Premiere: Die Lighthouse-Challenge geht insgesamt vom nördlichen Leuchtturm (langer Erik) bis zum südlichen Leuchtturm (langer Jan), insgesamt 100 Meilen also 161km. Das war mir dann doch etwas zu viel des Guten für einen Lauf im Urlaub, bei dem es ja auch um Entspannung geht. Alternativ gibt es einen 50km Lauf und einen 50 Meilen Lauf (entsprechend 80,46km), also alles deutlich im Ultra-Bereich. Da ich ja bereits einige 50er dieses Jahr gemacht habe und die dieses Jahr längste Distanz 73,6km beim Rennsteig waren, fiel die Wahl nicht schwer: 50 Meilen sollen es sein.

Die Anmeldung war absolut unproblematisch, davon abgesehen, dass die Website größtenteils natürlich auf schwedisch ist. Aber Marion hilft mir da dankenswerter Weise aus, genauso wie bei einigen weiteren Informationen die kurz vor dem Lauf veröffentlicht werden. So kann ich sicher sein, wirklich alles dabei zu haben was vorgeschrieben ist, gerade bei Ultras ist die Liste ja doch gerne einmal etwas länger. Unter anderem sind Warnwesten und Stirnleuchte für die 161km Pflicht, denn es geht mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Nacht. Auch bei den Anmeldungen zeichnet sich bereits ab: Das wird eine kleine, familiäre Veranstaltung. Gerade einmal 36 Anmeldungen über alle Distanzen liegen vor. Bis einige Tage vor unserer Abreise sieht es sogar noch so aus, als müsste ich wirklich nur ankommen um einen Podestplatz sicher zu haben: Gerade einmal sechs Anmeldungen für die 50 Meilen liegen vor, dreimal weiblich, dreimal männlich. Bis zum Start werden es dann doch noch neun Teilnehmer (m/w), ein wenig anstrengen muss ich mich dann wohl doch….

Nach einer sehr kurzen Nacht geht es um kurz nach 3h aus meinem Schlafsack am Zeltplatz, am Vortag habe ich schon alles gerichtet und auch die Tasche für den Familien-Support-Van gerichtet. Ein kleiner Fehler ist mir dann doch unterlaufen, das Müsli liegt noch auf unserem Anhänger, den kann ich aber um die Uhrzeit auf dem Zeltplatz nicht aufmachen ohne die anderen Gäste rundum zu wecken, daher starte ich schwedisch in den Tag: Es gibt Zimtschnecken zum Frühstück. Die Startnummern gibt es ab 4h in der Frühe, eine verpflichtende Einweisung für alle Läufer um 4:30h. Ich schwinge mich auf mein Rad und mache mich auf den Weg, es sind nur etwas mehr als sieben Kilometer, zudem geht es entlang der Strecke die wir später laufen werden, so ist nicht alles an der Strecke unbekannt. Ungewohnt ist es aber schon zu solchen Uhrzeiten mit dem Rad entlang der Küste zu fahren und sich dabei auf die Radwegweiser verlassen zu müssen. Pünktlich um 4:00h stehe ich am langen Erik und es sind bereits die ersten Organisatoren vor Ort. Man muss nicht lange fragen, sonst ist keiner weit und breit wach. Rund um den Leuchtturm parken aber einige Camper.

Ich parke mein Rad und mache mich auf den Weg zur Startnummern-Ausgabe, das klappt alles ohne Probleme auf englisch. Man verspricht mir, dass ich die Einweisung dann auch nochmal in Kurzfassung auf englisch bekomme. Ich unterhalte mich noch mit einigen Läufern aus dem Starterfeld, die langsam eintreffen. Die Einweisung ist dann auch recht knapp, ich wünschte ich würde wenigstens die Hälfte auf schwedisch bereits verstehen. Auf englisch ist es dann nochmal ein gutes Stück kürzer, mit internationalen bzw. nicht schwedisch sprechenden Teilnehmern hat man nicht gerechnet. Aber alles halb so wild: rechts laufen, die Strecke ist mit Pfeilen und Logo markiert, an kritischen Stellen stehen auch nochmal rote Pfeile. Ein wichtiges schwedisches Wort lerne ich noch “Färist“, das sind Gatter bzw. Gitter im Boden, die verhindern, dass Tiere ein umzäuntes Gebiet verlassen ohne das man ein Tor bräuchte, die Straße bleibt vollständig durchgängig befahrbar. Nur muss man aufpassen wenn man darüber läuft, dass man nicht mit dem Fuß stecken bleibt.

Wenige Augenblicke später noch ein Startfoto und dann knallt auch der Startschuss in die Morgenluft. Es ist etwas heller geworden, aber die Sonne ist noch nicht über den Horizont. Ich laufe einfach los – es geht von der vorgelagerten kleinen Insel über die Brücke und dann erst einmal der Staße nach. Ich sortiere mich noch ein wenig und finde dann recht bald meine Geschwindigkeit. Ich unterhalte mich noch kurz mit einem Läufer, der dann aber recht bald sein eigenes Tempo machen möchte, das ist mir aber deutlich zu schnell. Ich pendle mich lauf GPS bei um die 5:30 min/km ein. Ich bin skeptisch, ob ich das halten kann, aber langsamer laufen strengt gefühlt noch mehr an. Aber anstelle auf die Uhr konzentriere ich mich nun doch eher auf die wunderschöne Landschaft um mich herum. Es ist noch alles sehr ruhig, ganz leise kann man die Wellen am Strand hören, zumindest so lange bis man in den ersten Waldabschnitt eintaucht.

Nachdem ich wieder aus dem Wald heraus bin, steht die Sonne bereits über dem Horizont, Zeit für ein kurzes Foto. Ich laufe auf einen weiteren Teilnehmer auf, wir unterhalten uns ein wenig, er läuft nur die 50km Strecke, er wohnt praktisch um die Ecke am Ziel, wie er mir kurz beschreibt. Die Kilometer ziehen ans uns vorbei und nur wenig später steht Marion an der Einfahrt zum Campingplatz. Ich nutze die Gelegenheit meine Jacke bei ihr abzugeben, die war zum Radfahren sehr praktisch und auch für den Start, aber mittlerweile ist es doch deutlich wärmer geworden, ab jetzt kann ich einfach im Trikot laufen. In Byxelkrok selbst ist dann auch die erste Versorgungsstation, die ersten 10km liegen hinter mir und ich bin gut in der Zeit, noch nicht einmal eine Stunde ist seit dem Start vergangen. Ich gönne mir einen Schwung Iso-Getränk und ein Stück Riegel, dann geht es auch schon weiter.

Der nächste Abschnitt führt uns durch ein Naturschutzgebiet, größtenteils ist es bewaldet. Die Strecke folgt dabei größtenteils dem Radweg, welcher rund um die Insel führt. Mittlerweile habe ich auch einige der “Färist” kennen gelernt. Man muss schon aufpassen, wo man hintritt aber zumindest zum aktuellen Zeitpunkt ist das noch kein Problem. Vor mir läuft eine Teilnehmerin, sie hat einigen Abstand zu mir, aber jemanden in Blickreichweite zu haben hilft einem doch, und wenn es nur darum geht, dass man nicht so leicht eine Abzweigung verpasst. Wir sehen bald auch einen der Gründe für die “Färist”: mitten auf der Straße begegnen wir zwei Pferden, die frei herum laufen. Da muss man ein wenig aufpassen, nicht dass man diese in Panik versetzt und dann umgerannt wird (schneller sind sie auf alle Fälle). Ich bin so perplex, dass ich ganz vergesse ein Foto zu machen. Der Weg schwenkt dann etwas weg von der Küste und es geht durch den Wald, erst noch auf der Straße, dann folgt ein Trail bis an die nächste Versorgung, der nur durch eine Kreuzung einer Straße unterbrochen wird. Ich kann kurz vor der Versorgung die Läuferin vor mir einholen und dann auch überholen. Die ersten 21km liegen an der Versorgung hinter mir und meine Pace liegt immer noch bei rund 5:30 min/km.

Der folgende Abschnitt ist weit weniger bewaldet, es geht dafür aber wieder entlang der Küste. Mittlerweile ist die Strecke rund herum auch etwas belebter, die Menschen in den Campern entlang der Strecke werden langsam wach oder sind bereits beim Frühstück. In einem etwas stilleren Bereich beobachte ich noch zwei Rehe, die aufspringen und die Straße kreuzen, als ich mich nähere. Marion meldet sich zwischenzeitlich und teilt mir mit, dass sie zur Versorgung bei Kilometer 30 kommen will. An der Station ist sie dann leider weit und breit nicht zu sehen. Ich greife zu bei Iso und Energieriegel, im Weglaufen kümmere ich mich dann um meine Sonnenbrille, die habe ich im Rucksack mitgenommen und leider noch die klaren Gläser für die Nacht eingesetzt. Für den jetzt schon recht hellen Sonnenschein bringen die natürlich nichts. Zudem gebe ich Marion Bescheid, dass sie gleich zum 40er Kilometer weiter fahren soll.

Die Strecke wird vom Belag her nun deutlich anstrengender, die Küstenstraße ist zwar weiterhin befestigt, aber eben nur geschottert bzw. verdichteter Sand. Darin zeichnen sich schon deutliche Wellen ab, man könnte meinen die wären durch eine Planierraupe oder ein ähnliches schweres Fahrzeug zu Stande gekommen bzw. in den Belag gestanzt. Zum Laufen ist das absolut unbequem, zumal ich mit meinen Boa von New Balance sehr minimalistische Schuhe gewählt habe. Die sind auf dem Asphalt sehr gut und auch der erste Trail ging damit noch recht gut zu laufen. Jetzt heißt es einen optimalen Pfad zu finden, in den Fahrspuren der Autos sind die Wellen weniger ausgeprägt, da lässt es sich noch am ehesten gut laufen. Zudem gilt es einige der wenigen kompakten Höhenmeter zu bewältigen. Vor einem Steinbruch geht es weg von der Küste und in Serpentinen nach oben, oberhalb der Abbruchkante. Kurz nach dem Steinbruch ist dann auch die Station für 40km erreicht, allerdings liegt die in einer Bucht, es geht also vorher wieder runter, man sieht aber ganz klar: Danach geht es auch wieder rauf. Insgesamt fühle ich mich noch recht gut, es läuft einfach und das obwohl ich schon kurz vor der Marathonmarke bin, wie ich selbst erstaunt feststelle liegt bereits mehr als ein Drittel der Strecke hinter mir. Die ganzen 50km Läufe bisher haben wohl doch einen gewissen Gewöhnungseffekt an derartige Distanzen gebracht.

An der Versorgung merkt man bereits dass es sehr warm geworden ist, der Energieriegel schmilzt schon fast in der Sonne. Ich greife wieder beim Iso-Getränk zu, das gibt es mit Proteinen, einige Mücken aus der Umgebung finden das Getränk auch sehr attraktiv. Gerne hätte ich jetzt auch die Chance genutzt, mich mit Wasser für in den Trinkrucksack einzudecken, das gibt es aber erst wieder bei Kilometer 50, ich greife das erste Mal zu meinen mitgeführten Salztabletten – rechtzeitig anfangen Salz nachzuführen habe ich ja mittlerweile gelernt.

Im nächsten Ort, ziemlich knapp nach der Marathon-Marke (und ich liege noch immer deutlich unter 4h) steht Marion mit den Kids in der Nähe des Hafens. Ich fülle kurzerhand dort den Trinkrucksack auf, danach geht es weiter, raus aus Sandvik. Die Landschaft ist jetzt wieder deutlich naturbelassener, allerdings immer noch eine Heide oder fast schon Steppe. Die Hitze macht mir zunehmend zu schaffen. Aber bis zur nächsten Versorgung ist es ja nicht mehr so weit. Zwischenzeitlich überholt mich Marion mit dem Familienvan. Ein schöner Anblick sind die aufgeschichteten Steine in großer Zahl in einem Bereich der Strecke. Es zieht sich danach noch ein klein wenig aber bald kommen die Häuser von Djupvik in Sichtweite. So erreiche ich Kilometer 50km, eine wichtige Zwischenstation ist erreicht.

Die 50km Station ist auch die Möglichkeit etwas länger Pause zu machen und etwas handfestes zu Essen. Es gibt leckere Pfannkuchen mit Zimt und Zucker. Zudem kann ich den Trinkrucksack endlich auffüllen, der ist schon fast wieder leer. Ein deutliches Zeichen wie warm es geworden ist, zudem lasse ich mir einen Gruß aus der Heimat schmecken: Marion hat mir Welde Sportweizen an die Strecke gebracht, alkoholfrei, lecker und isotonsich. Als meine Verfolgerin in Sicht kommt, mache ich mich langsam auf den Weg, ich verlasse die Station ziemlich genau 5h nach dem Start. Ich überlege schon ein wenig, ob ich jetzt da doch zu viel Zeit verschenkt habe, aber ändern kann ich daran jetzt ohnhin nichts mehr. Zudem habe ich dann doch gerade irgendwie ein Formtief, die Pace ist deutlich abgsunken auf um die 6:30 min/km. An einem der “Färist” ist dann auch wirklich die Luft raus. Ich muss dort langsam drüber gehen und danach will es einfach erst mal nicht wieder anlaufen. Also gehe ich erst mal ein gutes Stück zügig, trinke noch ausreichend und versuche dann wieder anzulaufen. Das klappt bis zum nächsten “Färist”, danach muss ich wieder ein Stück gehen. So richtig habe ich keine Erklärung warum jetzt gerade das Tief eingetreten ist. Aber aufgeben ist auch keine Option, also laufe ich weiter bzw. gehe weiter. Marion kündigt an, dass sie bereits an der nächsten Versorgung steht, da liegen noch ca. 6km vor mir bis ich dort bin. Zudem holt mich meine Verfolgerin wieder ein und überholt dann auch. Ich versuche ein wenig dagen zu halten, aber sie zieht mir dann doch davon. Angesichts der Hitze macht eine Kuh mit ihrem Kalb wohl das einzig richtige bei diesem Wetter – die beiden nutzen den Schatten einer Hütte am Wegesrand und bewegen sich möglichst wenig.

Einige Kilometer vor der nächsten Versorgung stelle ich auch fest, dass man sich hier auf die Trockenheit und Hitze wohl langsam aber sicher einstellt, es gibt eine Kamelfarm (diesmal träume ich nicht und es sind auch keine Strauße) mitten auf der Insel Öland in Schweden. Immerhin habe ich immer noch die Mitläuferin im Blickfeld, auch als es über die zentrale Straße der Insel geht. Dort stehen extra Warnschilder, welche auf kreuzende Läufer hinweisen. Die Straße ist aber nur mäßig befahren und ich kann problemlos queren. Nicht mehr ganz 800m später ist auch die Versorgung bei 60km erreicht. Ich greife zu bei Bananen, Iso und Energieriegel. Die Station liegt recht nett an einer der vielen historischen Windmühlen der Insel. Zudem lasse ich mir von Marion ein Energiegel reichen und natürlich nehme ich auch wieder ordentlich Salz zu mir. Es wundert mich schon ein wenig, dass die Stationen das nicht mit anbieten. Ich erwarte ja keineswegs ein Buffet wie an der Ebertswiese beim Rennsteiglauf. Mit den Helfern an der Strecke scherze ich noch kurz wie gut jetzt Nutella-Toast mit Gurke und Salz wäre. Mit frisch gefülltem Rucksack mache ich mich wieder auf den Weg, die Mitläuferin ist mir gefühlt eine knappe Minute voraus.

Der Blick auf die Uhr sagt mir aber auch, dass die Station etwas früher als 60km war, bis zur 70km Marke sind es also etwas mehr Kilometer. Die Strecke wird nun sehr eintönig und es kommen mir einige Anekdoten von Peter bzw. Jürgen hinsichtlich des Deutschlandlaufs in den Kopf. Es geht nun immer auf wenig befahreneren Straßen weiter, Schatten gibt es nur sehr sporadisch durch die wenigen Bäume, die immer einmal wieder stehen und einem zumindest Punkte bieten, um sich an sie heran zu ziehen. Ab Haglunda folgt ein absolutes Killerstück der Strecke: es geht durch die sengende Sonne schnurgerade aus und immer ganz leicht bergan. Zudem haben wir noch immer einen ordentlichen Wind. Bisher war der an der Küste entlang immer noch recht angenehm, jetzt wird er richtig heiß und kommt noch dazu schräg von vorne. Immerhin läuft es wieder etwas besser, zumindest wenn ich auf die Uhr schaue. Ich habe meine Pace bei um die 6 min/km oder sogar etwas darunter wieder stabilisiert. Scheint als wäre es wohl primär ein Energieproblem. Bei den nächsten Ultras werde ich da verstärkt darauf achten, denn Reserve-Gels für derartige Fälle habe ich ja im Rucksack bei mir.

Bei Kilometer 66 hat die lange Gerade endlich ein Ende – wenn ich mich nicht täusche habe ich den Abstand zu meiner Vorläuferin verkürzen können, wenn auch nicht viel aber immerhin. Ab Öjkroken wird die Strecke wieder abwechslungsreicher, es geht jetzt wieder auf einem Wirtschaftsweg, der zudem rechts und links mit Bäumen bestanden ist. Eine deutsche Familie überholt mich und fragt, ob wir wirklich einen Wettkampf machen bzw. was die Startnummern zu bedeuten haben. Ungläubig werde ich gefragt ob es nun 8, 18 oder doch 80km sein sollen. Natürlich sind es 80km und wir haben bereits mehr als 68km hinter uns. Marion hat mir zwischenzeitlich mitgeteilt, dass sie bei Kilometer 71 an der Versorgung auf mich wartet. Das macht es gerade noch etwas anstrengender, als es ohnehin schon ist. Der Trinkrucksack ist fast leer und mittlerweile beginnt auch der Magen sich zu melden. An einer Kreuzung kann ich die Läuferin vor mir einholen, so richtig sicher sind wir uns beide nicht, allerdings gilt: so lange nichts dasteht, geht es weiter gerade aus. Es geht auch wieder aus dem Wald heraus und nun durchs Feld, der Untergrund ist sandig locker wie in einem Spargelacker in Schwetzingen. Das frustriert zusätzlich zu dem nun ganz leeren Rucksack. Immerhin kann ich bald auch ein Gebäude ausmachen, als wir bereits mehr als 71km hinter uns haben. Es sind dann auch nur noch 500m bis wir wieder festen Boden unter den Füßen haben und die Versorgung erreichen.

Ich lasse mir von Marion nochmal ein zusätzliches Sportweizen reichen und fülle den Trinkrucksack für die letzte Etappe noch mal auf. Zusäztlich zum Energieriegel und ordentlich Isogetränk drücke ich mir zwei Energiegels rein, geschmacklich sind die beide keine gute Mischung und beim Blick auf das Mindest-Haltbarkeitsdatum wird mir klar: höchste Zeit, dass die endlich eine sinnvolle Verwendung finden. Ich verlasse kurz nach meiner Mitstreiterin die Versorgung, es liegen nunmehr noch rund 9km vor mir. Laut Aussage an der Versorgung soll es nun auch wieder etwas schattiger werden. Die Strecke führt jetzt wieder an einer der Straßen entlang, vom Schatten ist kurz nach der Versorgung kaum etwas zu erkennen. Da ich nicht sicher bin, hole ich im Laufen doch nochmal das Handy raus und checke, ob ich noch richtig bin. Das hätte ich mir sparen können, einige Minuten später erspähe ich wieder die Läuferin vor mir, allerdings mir deutlich Abstand.

Der Kopf beginnt zu rechnen – schaffe ich es noch sie einzuholen? – kann das klappen? Wie steht es um die Energiereserven? Was sagen die Muskeln? Anzeichen für Krämpfe? Ich steigere in der Folge ganz vorsichtig das Tempo, aus der Erfahrung weiß ich, dass sie ca. 6 min/km läuft. Was ich nicht weiß, ist für welche Distanz sie sich angemeldet hat, das ist auch an den Startnummern nicht zu erkennen. Noch liegt aber ein gutes Stück zwischen uns. Das ändert sich erst, als sie wegen Krämpfen wohl ein wenig Dehnübungen machen muss. In diesem Moment kann ich deutlich verkürzen und nach etwas zögern dann auch überholen. Das gibt vom Gefühl her nochmal einen deutlichen positiven Schub, allerdings liegen noch immer 5km vor mir. Jetzt nur nicht übermütig werden. Meine Pace liegt nun bei etwa 5:50 min/km. Ich versuche nicht noch schneller zu werden, denn nichts wäre ärgerlicher als jetzt noch einen Einbruch zu haben. Beim letzten Blick auf die Karte habe ich gesehen, dass es rund 2km vor dem Ziel noch eine markante Abzweigung gibt. Daran ziehe ich mich jetzt ein wenig hoch. Noch 4km bis zur 80er Marke, wie ich mir grob überschlage sind es aber noch 4,5km, weil es ja 50 Meilen und somit etwas mehr als 80km sind.

Kurz vor der Abzweigung gibt es nochmal Markierungen auf der Straße, natürlich in schwedisch. Sie zeigen in eine Einfahrt und ich bin mir nicht ganz sicher. Ich laufe vorsichtig weiter und hole doch nochmal das Handy raus. Das zeigt mir ganz klar: weiter laufen bis an die nächste Straßenkreuzung. Dort findet sich dann auch wieder ein deutlicher Wegweiser. Schnell das Handy wieder in den Rucksack und dann geht es auf die letzten 2,5km, die es überschlagen jetzt wohl noch sind. Es fühlt sich alles recht gut an, daher steigere ich langsam nochmal das Tempo. Ich wage es erst gar nicht zurück zu blicken, jetzt nur nicht überholen lassen. Laut Aussage von Marion war ich an der letzten Station auf Platz 3 in der Gesamtwertung über alle Läufe. Somit müsste ich ja jetzt auf Platz zwei liegen, den will ich nun auf keinen Fall mehr hergeben. Leider ist auch der Läufer vor mir nicht in Sichtweite, als dass man sich noch an ihn heran arbeiten könnte. Ein Rennradler an der Strecke ruft mir etwas zu, ich bitte ihn kurz auf englisch zu wiederholen, er meint das Ziel wäre direkt voraus. Ich kann es aber noch nicht erkennen, er meint: “doch! da vorne kann man die Flaggen doch schon sehen!” – jetzt erkenne ich diese auch. Laut GPS liegen ziemlich genau 80km hinter mir, jetzt nochmal die Beine in die Hand und auf die Flaggen zugehalten.

Ich spähe über die Schulter und sehe, dass keiner direkt hinter mir ist, dennoch halte ich das Tempo hoch. Meine beiden Söhne warten am Ziel und kommen mir entgegen, ich nehme sie beide rechts und links an die Hand für die letzten 50 Meter. Diese fliegen dann wirklich an mir vorbei. Endlich im Ziel, nach 80,46km bzw. 50 Meilen. Ich werde beglückwünscht von den Organisatoren und dem ersten Läufer im Ziel, ich bin tatsächlich auf Platz 2 gekommen in einer Zeit von 8:22:02 (brutto), und das nicht nur in der Altersklasse. Das passiert mir nicht regelmäßig. Im Ziel stoßen wir mit alkoholfreiem Weizenbier an. Es gibt noch eine Medaille und auch ein Finisher-Shirt (im Preis enthalten, ich kaufe seit geraumer Zeit aus Platz und Umweltschutzgründen ja keine Trikots mehr). Zudem gibt es noch ein wenig Versorgung, Eintopf und wieder Pfannkuchen. Das schmeckt nach der Anstrengung nochmal so gut. Rund vier Minuten nach mir trifft die nächste Läuferin ein. Wie ich dann erfahre hat sie die 100 Meilen gewählt, ich hätte mich also gar nicht so reinhängen müssen auf der letzten Etappe. Sie übernimmt damit auch die Gesamtführung, wie ich am kommenden Tag in den Ergebnissen sehen kann, hat sie es nicht bis ins Ziel am “langen Jan” geschafft. Schade, ich hätte es ihr echt gegönnt.

Ich tausche meine Schuhe – ich habe schon Bedenken, dass ich mir ordentlich Blasen gelaufen habe, zwischenzeitlich fühlte es sich sehr danach an, aber es ist nichts direkt zu erkennen. Nachdem ich etwas abgekühlt bin, treten wir dann auch den Heimweg zum Zeltplatz an. Nach dem Abendessen steht noch eine kleine Lockerungseinheit auf dem Programm: Wir besichtigen nochmal den “langen Erik” und ich hole mein Fahrrad ab. Damit es nicht zu viel Umstand wird mit Einladen, radle ich kurzerhand die sieben Kilometer zurück an den Campingplatz. Das fühlt sich richtig gut an die Strecke nochmal zu sehen.

Insgesamt ein sehr schöner, kleiner und familärer Lauf. Für die erste Durchführung eines derartigen Ultralaufs meinen absoluten Respekt vor den Organisatoren. Die internationale Beteiligung kam dort etwas überraschend, wurde aber sehr schnell gelöst, vielleicht gibt es beim nächsten Mal auch die Kommunikation mit den Vorabhinweisen in englischer Sprache. Das wäre aber auch nur das Sahnehäubchen hinsichtlich der Organisation. Die Strecke bis Kilometer 50 hat mir deutlich besser gefallen als die letzten 30km. Insbesondere die lange Gerade hat echt Durchhaltevermögen gefordert, dass ich die nächste Station mit 70km anstelle 71 angenommen habe ist mit Sicherheit nicht das Problem der Organisatoren. Das Wetter spielte natürlich auch eine Rolle – aber das kann man bekanntlich nicht vorbestellen und ich war dank meiner Erfahrung aus Rodgau schon etwas abgekocht (im wahrsten Sinne des Wortes) in dieser Hinsicht. Ich bin gespannt, ob es weitere Durchführungen geben wird. Ob ich das jedes Jahr einrichten kann hier teilzunehmen, weiß ich allerdings nicht, auf die Liste “sollte man mal wiederholen” kommt der Lauf auf alle Fälle.