Der Sommer ist vorüber, es geht langsam gegen Herbst und mit dem langsam kühleren Wetter nähert sich auch der Termin des Stadtlaufs in Nürnberg. Mittlerweile ist es die 13. Teilnahme für mich. Das hätte ich mir 2007 nicht träumen lassen.
Das Abholen der Unterlagen ist mittlerweile schon eine Routine-Übung, seit letztem Jahr muss ich aber auch daran denken, nicht nur die Unterlagen für den Halbmarathon abzuholen, sondern auch einen der Beutel für den Bambinilauf über 600m. Dabei gibt es diesmal einen ersten Minus-Punkt: Obwohl wir vorangemeldet haben, sind für die Kinder nur noch Lauf-Trikots in XL verfügbar – für unseren Ältesten immer noch deutlich zu groß – mehr Nachthemd denn Laufshirt.
Ich habe mich mit Helga und Heinrich im Startbereich verabredet – Heinrich wird wieder über die 10km starten, während Helga wie ich die 21,1km in Angriff nimmt. Während wir warten treffe ich einen weiteren alten Bekannten und mit ein „Urgestein“ des Stadtlaufs in Nürnberg. Erwin Bittel, auch bekannt als Lionheart oder „Crocodile Dundee“ (nach seinem Hut). Er ist etwas ernüchtert über den Veranstalter – bisher gab es für seine Tätigkeit als Schlussläufer und Teilnehmer über alle Distanzen einen Freistart, klar den für den Lauf gehört er einfach dazu: Ausgerüstet mit einem Besen fegt er am Schluss jedes Wettbewerbs die Läufer wortwörtlich ins Ziel. Dieses Jahr hat das nicht geklappt – scheinbar wegen eines Wechsels der Verantwortlichkeiten.
Kurz darauf treffen auch Helga und Heinrich an den Startblöcken ein, viel Zeit zum Unterhalten bleibt nicht, daher verabreden wir uns für den kommenden Abend zum Essen. Heinrich verschwindet in den Startblock, Helga begibt sich in den Zielbereich zum Fotografieren und Filmen. Und auch für mich steht die erste Trainingseinheit des Tages auf dem Programm – Glen wünscht sich Begleitung über die 600m Bambini-Strecke. Es klappt aber dieses Jahr schon viel besser – ich reihe mich am Anfang bei den Eltern hinter dem Feld ein und spurte los als sich die Horde Kinder in Bewegung setzt. Das vorgelegte Tempo ist durchaus beachtlich, da muss selbst ich mich anstrengen um ihn wieder einzuholen. Nach einem kurzen Durchhänger kurz nach dem Wendepunkt geht es dann auch recht zügig über die Ziellinie.
Das Wetter ist heute nicht gerade gemütlich, daher gehen wir noch in ein Café um uns etwas aufzuwärmen. Auf dem Weg wieder an den Start treffen wir nochmal auf Helga und Heinrich. Bei Ihnen ist Staffelübergabe bzw. Rollenwechsel, Helga macht sich ans Laufen, Heinrich wird Fotos machen. Ich muss mich auch noch fertig machen sowie meine Tasche in der Tiefgarage unter dem Opernhaus einlagern. Beim Umziehen stelle ich dann fest, dass ich das Laufshirt der Veranstaltung am Kinderwagen gelassen habe. Es ist zeitlich aber zu knapp es noch zu holen. Daher nehme ich das Reserve-Shirt aus der Tasche – passender Weise in Orange, das war jahrelang die Farbe des Laufs – inklusive der Trikots. Sozusagen ein Memoriam-Shirt, auch wenn es keines vom Stadtlauf sondern eines vom Weltkulturerbelauf in Bamberg ist (immerhin ein fränkisches Event). Zudem ziehe ich meine weiße DJK-Jacke an, der Wind ist immer noch sehr frisch, auch wenn die Sonne sich langsam durch die Wolken kämpft.
Ich reihe mich in den Startblock ein, mal wieder etwas zu weit hinten, ich traue mich einfach nicht in den vorderen Startblock. Ein festes Ziel habe ich mir dieses Jahr nicht vorgenommen – irgendetwas unter 1:45 sollte es wohl werden. Daher habe ich auch gleich nach dem Start eine erste Aufgabe: Vorbei am 1:45-Pacemaker und der Menschentraube rund um ihn herum. So verfliegt der erste Kilometer recht fix. Ich erspähe Heinrich und kurze Zeit später steht auch Marion mit den Kindern an der Strecke. Die Strecke kenne ich ja schon fast auswendig – es geht mit Schwung an die Pegnitz und in Richtung Wöhrder See. Dort ist derzeit eine große Baustelle, daher verläuft die Strecke ein klein wenig anders als sonst. Kurz nach Kilometer drei kommt am Altersheim auch die erste Versorgung – ich habe aber noch keinen Durst, im Gegenteil, ich müsste eigentlich irgendwo einmal aufs Klo. Aber andererseits läuft es gerade recht gut, zudem ist das Klohäuschen direkt nach der Versorgung bereits besetzt.
An der nächsten Brücke gibt es die nächste Umleitung – anstelle drunter durch und in einer Schleife drauf und drüber geht es diesmal vor der Brücke nach links und dann direkt bergan in Richtung Business-Tower. Der Turm markiert ungefähr den Wendepunkt der Strecke und bietet aus der Ferne ein gute Orientierung. Damit der Verkehr auch weiterhin fließt laufen wir auf der stromabwärts gewandten Seite der Brücke – insgesamt macht sich das auch bei der Strecke bemerkbar – das Kilometerschild für vier absolvierte Kilometer steht diesmal erst nach der Brücke. Im Kopf beginne ich zu überlegen wo die fehlenden Kilometer wohl hinzugefügt werden können. Währenddessen geht es mit dem Kilometersammeln weiter, wir umrunden das Schwimmbad am Tullnau, ebenso wie das relativ neu angelegte Spielgelände. An den dortigen Hochhäusern pfeift der Wind recht unangenehm direkt von vorne, nach dem Passieren der Häuserkante wird es wieder etwas besser. Gefühlt haben wir auf dem Weg in die Stadt hinein etwas Gegenwind, angesichts der Streckenausrichtung kommt mir das entgegen, so ist haben wir wahrscheinlich auf der Zielgeraden Rückenwind.
Nach der Versorgung folgt endlich die erwartete Zusatzschleife – wo es sonst direkt geradeaus ins Zentrum geht, schwenkt die Strecke in diesem Jahr nochmals an die Pegnitz und zurück. Direkt an der dortigen Haltstelle Wöhrder Wiese steht Marion mit dem Kinderwagen, ich nutze die Gelegenheit und werfe meine Jacke ab, die ich mir seit einigen Kilometern um die Hüfte gebunden habe. Es läuft sich gleich viel leichter, aber es ist auch deutlich frischer. Nun heißt es sich vorbereiten auf die einzig wirkliche Steigung der Strecke – den sogenannten „Nonnensteig“ hinter der Lorenzkirche. Seit einigen Jahren haben die Veranstalter diese Stelle etwas entschärft – es gilt einige zusätzliche Meter zu laufen, dafür weniger steil vom Pegnitzufer bis auf Höhe der Lorenzkirche. Dieses Jahr klappt die Steigung erstaunlich gut – danach geht es erstmal flach weiter durch die Fußgängerzone. Auch hier gibt es eine kleine Änderung aufgrund der Baustellen – in diesem Jahr laufen wir bis an den weißen Turm, vorbei am schönen Brunnen. Danach den gewohnten Zick-Zack durch die Altstadt und auf den Stadtgraben zu. Dort wartet bereits die Samba-Band und heizt den Läufern kräftig ein.
Den Schwung braucht man auch, denn man muss ja auch wieder aus dem Graben raus. Am Ende der Steigung gibt es etwas Neues – die „Hero Zone“ ein paar lustige Torbögen, aber keinerlei Fans – irgendwie etwas enttäuschend. Nach der Start-Zielgeraden vorbei am Opernhaus geht es auf die zweite Runde. Marion und die Kinder stehen kurz vor dem Zielbogen und feuern kräftig an. Der Blick auf die Uhr stimmt vorsichtig optimistisch, etwas mehr als 45 Minuten bin ich unterwegs als ich bei Kilometer elf nachschaue. Für unter 1:40 sollte es auf alle Fälle reichen – für mein Traumziel 1:30 sieht es sehr knapp aus. Aber ich bin ja auch zum Spaß hier, also konzentriere ich mich weniger auf die Zeit denn auf die Strecke. Am Pegnitzufer stehen wieder viele Menschen und feuern an – unter anderem mit derben Sprüchen für einige der Läufer um mich herum.
Am Altersheim greife ich diesmal zu, ein wenig ISO kann nicht schaden – es läuft alles sehr gut momentan, so gut dass ich nicht mal mehr daran denke noch ein stilles Örtchen aufzusuchen. Es sind noch etwas mehr als 8km bis ins Ziel. Wieder geht es über Brücke am Businesstower – 14km geschafft. Am Ufer der Pegnitz folgt dann eine Überraschung – damit man auf die notwendigen Kilometer kommt muss man noch 500m Pegnitz aufwärts auf einer Pendelstrecke laufen. Ich mutmaße schon, dass wir womöglich die alte Extrasschleife aus meinen ersten Teilnahmen wieder einmal unter die Füße nehmen werden, aber ganz so weit müssen wir dann doch nicht laufen. Nach der Pendelstrecke sind es nur noch sechs Kilometer bis ins Ziel.
Entlang der Pegnitz finde ich einen Läufer der ziemlich exakt mein Tempo läuft – normalerweise habe ich bei Wettkämpfen und Menschenmassen immer das Problem mir zu merken ob es sich um den gleichen Läufer handelt der da aufholt bzw. neben mir läuft. Hier ist der Fall aber sehr einfach: Dank Tarnfleck-Hose und neon pinken Schuhen handelt es sich um ein echtes Unikat im Läuferfeld. Ständig beäugen wir uns gegenseitig, mir kommen Erinnerungen an die letzten 10km in Biel in den Sinn – auch dort hatte ich auf den letzten Kilometern einen Laufpartner. Eine derartige Kombination setzt ungeahnte Reserven frei und so fliegen die Kilometer förmlich an mir vorbei. Ehe ich es mich versehe sind wir schon wieder an der Wöhrder Wiese – nochmal beim Iso zugreifen und nur den Konkurrenten nicht aus den Augen lassen…
Mit Erreichen der Insel Schütt in der Innenstadt haben wir 17km hinter uns – im Kopf beginnt der innerliche Count-Down: Noch vier Kilometer und zwei relevante Steigungen. Am Nonnensteig muss mein Verfolger dann abreißen lassen – ich triumphiere innerlich schon ein wenig, auf meine Ultra-Erfahrung und die damit verbundene Kondition kann ich mich eben doch verlassen. Zudem bestätigt es mich, dass mein hartes langes Training sich doch auszahlt. Nach der Lorenzkirche wird es in der Fußgängerzone dann doch etwas einsam – viele Laufbegleiter haben sich schon auf den Weg in Richtung Ziel gemacht. Selbst wenn man das auf direktem Weg angeht müsste man sich als Nicht-Läufer doch etwas verausgaben um nach dem Durchlauf des eigenen Athleten noch mit ihm oder gar vor im am Zielbogen zu sein.
Kurz vor dem weißen Turm steht ein weiteres wichtiges Motivationsschild: 19km geschafft und nur noch die Steigung aus dem Stadtgraben. Ich bereite mich innerlich auf den Zielspurt vor – jetzt nur nicht zu früh zu stark beschleunigen. Zu den Trommeln der Samba-Band geht es in den Stadtgraben, leicht bergab bis an U-Bahn-Station. Auf der Fußgängerbrücke stehen jede Menge Zuschauer, auch Marion mit den Kindern ist wieder mit dabei und alle feuern an was das Zeug hält. Derart „angeschoben“ kann man auch den Anstieg aus dem Graben und den U-Turn auf die Zielgerade gut bewältigen. Bis ins Ziel geht es jetzt nur noch gerade aus – ich sammle noch ein paar Läufer ein und erhöhe schrittweise das Tempo auf dem Weg zum Zielbogen. Mein Ziel von 1:30h verfehle ich (mal wieder) um einige Minuten – laut meiner Uhr habe ich 1:35h benötigt, die offizielle Messung weißt hinterher 1:34:41 aus. Anfänglich bin ich damit noch auf Platz 149 bei den Männern, rutsche aber nach einigen Tagen noch einen Platz nach hinten. Insgesamt bin ich der 160. Läufer von 1232 im Ziel, in der Altersklasse auf Platz 26 (von 180 Finishern). Ich nehme mir wieder einmal vor, im kommenden Jahr das Training mehr auf diese Teilnahme auszurichten. Wiederkommen habe ich auf alle Fälle vor.
Nach dem Duschen und auf dem Weg zur U-Bahn läuft gerade Erwin als Schlussläufer ein und fegt traditionsgemäß die letzten Läufer ins Ziel.