Quo vadis? – „Wohin gehst du?“, genau diese Frage habe ich mir schon häufiger gestellt wenn ich mit meinem Freund Martin zusammen gesessen habe. Dabei ging es nicht darum wo wir jeweils hingehen, auch das wäre sicherlich eine Erörterung wert. Vielmehr haben wir uns als Singles und engagierte Jugendbetreuer (Martin derzeit mehr als ich) Gedanken darüber gemacht wie es um den Bildungsstand und diverse Verhaltensweisen der heutigen Jugendgeneration steht.
Sicherlich ist nicht alles schlecht was sich an Neuerung auftut und man soll auch die Augen nicht vor Neuerungen verschließen. Der Gedankengang „Früher war alles besser“ ist auch eine Sackgasse.
An die letzte Unterhaltung fühlte ich mich jedoch dramatisch erinnert als ich unseren derzeitigen Praktikanten eingewiesen habe. Er ist redlich bemüht und besitzt in meinen Augen ein sehr gutes theoretisches Verständnis. Momentan hadert er ein wenig damit, angeeignetes Wissen aus der Theorie in die Praxis zu übertragen – Abstraktionsvermögen. Sicherlich ist das keine triviale Aufgabe und jeder der die Umsetzung von Theorie in Praxis die ersten Male gemacht hat, weiß wie schwer man sich dabei tun kann.
Nun bin ich ja kein Unmensch, aber ich weigere mich bei angehenden Studenten alles genau vorzukauen, daher gebe ich zwar Hinweise und beantworte konkrete Fragen, aber die eigentliche Lösung muss jeder selbst erarbeiten. Verständnis anstelle Auswendiglernen.
Geschockt war ich, als ich beim Erklären dann auf vermeintliches Abiturwissen zurück gegriffen habe: Mathematik, Folgen, Reihen, rekursive Defintion etc. Für einen angehenden Studenten der Elektrotechnik sollten solche Begriffe aus dem Nachfolger des Leistungskurses (Profilfächer oder wie auch immer das jetzt schon wieder genannt wird) doch zumindest einmal bekannt sein. Aber was musste ich da hören: Das wurde allenfalls ganz kurz nach dem Abi angesprochen – jeder Abiturient weiß wie gut man in der Zeit zwischen schriftlichem Abitur und mündlichen Prüfungen (den letzten Unterrichtswochen) noch engagiert ist: Man kümmert sich vorrangig um die mündlichen Prüfungsfächer, in den anderen Fächern werden optionale und zeitintensive Themen angesprochen.
In diesem Moment war ich erst mal sprachlos – waren doch Folgen und Reihen eines der zentralen Themen im Leistungskurs – ohne Folgen und Reihen ist es ja sogar problematisch, die Grundlagen der Differentialrechnung oder Integralrechnung zu erläutern, geschweige denn zu verstehen. Sind doch beide Begriffe sehr eng mit der Reihenentwicklung und den Limes-Gesetzen verzahnt. Ich frage mich ganz ehrlich, was dann noch Unterrichtsgegenstand in Mathematik gewesen sein soll: Sicherlich die Kurvendiskussion in allen Formen und Farben, Integralrechnung und analytische Geometrie (also die Grundlagen der Vektor- und Matrizenrechnung, welche den Nährboden für lineare Algebra bereitet).
Ich wage mir gar nicht auszumalen wie es dann wohl in ehemaligen Grundkurs-Fächern aussieht. Mir scheint es, als wurde in den letzten fast schon zehn Jahren das Bildungsniveau an unseren Gymnasien systematisch weichgespült. Ganz getreu dem Motto: „Schule muss Spaß machen“ – klar kann Schule auch Spaß machen und man soll auch Freude am Lernen haben, aber es sollte doch auch zum Ziel der Pädagogik gehören, dass man sich über erreichte Erfolge freuen kann. Zumindest ich fand es unglaublich spannend gestellte Aufgaben zu lösen, nicht nur um sie gelöst zu haben, sondern auch weiß man bei schwierigen Aufgaben eben Nachdenken musste – hinterher konnte man aber mit Fug und Recht auf sich selbst stolz sein (und das nahm einem niemand wirklich krumm), die Lösung selbst oder im Diskurs mit Mitschülern erarbeitet zu haben.
Nachdem ich nun selbst einmal in der Position war, Praktikanten auswählen zu müssen – habe ich zum ersten Mal die Kehrseite der Bewerbungen gesehen – ich selbst bin stets um eine formal richtige und sehr gute Bewerbung bemüht. Was ich da zu sehen bekommen habe, hat mir die Sorgen und Nöte so mancher Personalabteilung aufgezeigt. Mit derartigen Unterlagen hätte ich mich nicht mal getraut mich zu bewerben – Grammatik, Rechtschreibung – alles böhmische Dörfer so wie es sich mir darstellt. Sicherlich kann man das nicht verallgemeinern, aber es hat mich schon etwas überrascht.
Immer wieder hört man von den Betrieben, die Bewerber seien so schlecht – ich könnte mich dem jetzt anschließen, aber ich denke man muss es differenziert betrachten: Fakt ist, wie beschrieben, dass die Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht immer den Ansprüchen genügen die man an einem Abiturienten stellt. Ähnliches gilt unter anderem auch für Studenten die einen Praktikumsplatz suchen, auch hier stelle ich mir gelegentlich die Frage ob ich mich bei meinen Bewerbungen auch so angestellt habe. Wie ebenfalls bereits beschrieben, ist das Problem jedoch nur teilweise dass der einzelnen Bewerberin oder des einzelnen Bewerbers – die Erfahrung zeigt, dass es sich eher um ein systematisches Problem handelt. Nicht umsonst habe ich mal etwas über statistische Verteilung gelernt – wenn der Durchschnitt der Aspiranten derartige Schwächen zeigt, dann ist bei einer ausreichend großen Stichprobe nicht zu erwarten, dass man immer nur die Ausreißer oder die Randbereiche erwischt hat.
Unter der Annahme, dass es sich um ein systematisch begründetes Problem handelt, kann man davon ausgehen, dass eine entsprechende Ursache oder eine Menge von Ursachen im Zusammenspiel, die Wirkung hervorrufen. Eine derartige Ursache habe ich oben bereits beschrieben – die Lehrpläne wurden weichgespült anstelle entrümpelt – auch mir war es als Schüler recht wenn der Lehrplan reduziert wurde – klar weniger Anstrengung bei gleichem Ertrag, wer hat das nicht gerne? Allerdings muss man auch sehen: Es gibt weiterhin eine Menge Gerümpel, das in den Lehrplänen schlummert, manchen Sachverhalt habe ich im Laufe der Schule fast bis zum Erbrechen wieder und wieder behandelt. Allen voran werden derzeit die Soft-Skills gefördert, genauso wie die angebliche Allgemeinbildung. Leider muss ich sagen: Ich halte von diesen Dingen nicht übermäßig viel – ein Hype wie so manch anderer (der hoffentlich auch bald wieder abebbt) – denn mit dem verkürzten Abitur in nunmehr 8 Jahren anstelle von neun Jahren ist vor allem noch eines gefragt: Viel „Eye-Candy“ (man kann auch Mist verkaufen wenn er nur passend angerichtet ist) und auswendig lernen. Ohne ein gewisses Faktenwissen geht sicherlich nichts, jedoch zeigt sich immer mehr, dass die Fähigkeit zum schnellen Auswendiglernen belohnt wird. Egal ob im Gymnasium oder auch an der Hochschule – die Verknüpfung zwischen verschiedenen Fächern lässt immer mehr zu Wünschen übrig – man kann fast jedes Fach unabhängig von einem anderen lernen – teilweise kann man nach einem Lernabschnitt sogar das Gelernte einfach wieder „entsorgen“ ohne dass man dadurch einen Malus in der Bewertung erfährt. Vielmehr wird man zum Multi-Tasking Experten: Einmal schnell alles abarbeiten, dann weg und genauso weiter mit dem nächsten Abschnitt.
Kommen wir wieder zurück zum Titel dieses Eintrags – „Wohin gehst du?“ bzw. „Wohin gehen wir?“ (also „quo vadimus?“). Ich bin mir nicht ganz sicher wo wir uns hinbewegen – klammere ich mich evtl. schon in meinem Alter an „Traditionen“ und so Dinge wie „good old times(tm)“? Wenn ich es mir recht überlege, ein klares „Nein“ – ich will nicht sagen, dass früher alles besser war, aber einige Entwicklungen sind doch von sehr zweifelhafter Qualität. Wenn wir als Bildungsstandort „überleben“ wollen, bzw. mit hochqualitativen Produkten am Weltmarkt weiterhin präsent sein wollen, dann kommen wir nicht umhin uns um unsere Bildungsstrukturen wirklich leidenschaftlich zu kümmern und diese nicht verkümmern zu lassen. Momentan sind wir, meiner ganz persönlichen Meinung nach, auf dem besten Weg in die kollektive Verdummung der Bevölkerung und unseres Nachwuchses. Nur nicht mehr anstrengen müssen – alles schön bequem und weichgespült – bis die gesamt Gesellschaft derart weich und labelig (sowohl physisch als auch psyschich) ist, dass das Gerüst das unsere Gesellschaft ausmacht und sie zusammen hält nicht mehr tragfähig ist. Jedes Bauwerk das wir kennen, gerade wenn es hoch hinaus geht, hat zwei wichtige Eigenschaften:
a) ein solides Fundament – das ist die Bildung der kommenden Generation
b) tragkräftige, in einander schlüssig verzahnte und verbundene Pfeiler und Streben – das sind die Vorbilder der jungen Generation, die deren Geschicke zumindest teilweise mitbestimmen – und die müssen aufrichtig und gut ausgebildet sein.
In diesem Sinne, tun wir unser möglichstes um die Bildung wieder zu einen wichtigen Wert in unserer Gesellschaft werden lassen – und diesen Wert auch aktiv leben und nicht nur auf dem Papier fordern.